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09/24

Geheimzutaten in Beziehungskochtöpfen

Geheimzutaten in Beziehungskochtöpfen
Foto: Adobe Stock

Da wir nicht von Licht und Liebe leben können, muss alles Leben genährt werden. Welche Lektionen mich meine Kinder gelehrt haben, was in familiären Großküchen in keinem Topf fehlen darf und warum PartnerInnen kein italienisch-indisches Tapas-Lokal mit Heurigenschmankerln sein müssen.

Besserwisserin sein fällt mir schon immer leicht. Als kinderlose junge Frau war ich von einigen Prinzipien felsenfest überzeugt – zum Beispiel, dass meine Kinder mal sicher nicht im Ehebett einschlafen, ich in allen Belangen konsequent sein und die Kinder ihr Essen ausschließlich bei Tisch einnehmen würden. Alle Eltern lachen bereits an dieser Stelle laut auf.

Lebenslektionen zwischen Pastinaken und Pürierstab

Natürlich belehrte mich das Leben eines Besseren. Jahrelang war das Familienbett die Schlafsituation unserer Wahl, weil nicht nur der Nachwuchs, sondern auch wir Eltern so am besten nächtliche Erholung fanden. Erschöpft und überfordert haben wir mehr als einmal erzieherische Prinzipien verlassen, zum Beispiel was Bildschirmzeiten angeht. Besonders in puncto Ernährung lerne ich bis heute mit jedem einzelnen Kind dazu.

„Keine Aufgabe kostet mich bis heute mehr Nerven als das Kochen. Weil Liebe zwar durch den Magen geht, aber Geschmäcker eben verschieden sind.“

Die Erstgeborene war von Beginn an pflegeleicht und unkompliziert. Einzig so zierlich, dass ich ihr schnell mit jeglichem Essen nachlaufe, weil ich um jeden Bissen froh bin, der in ihrem Bauch landet. Allen guten Vorsätzen zum Trotz. Ohne mir groß einen Kopf zu machen und lange vor strikten Zufütterkonzepten oder „baby-led weaning“ haben wir unsere Sprösslinge durchgefüttert – im wahrsten Sinn des Wortes. Keine Aufgabe kostet mich bis heute mehr Nerven als das Kochen. Weil Liebe zwar durch den Magen geht, aber Geschmäcker eben verschieden sind.

Als junge Mutter belächelte ich zuerst diejenigen, die dem Nachwuchs Selbstgekochtes pürierten, statt auf die praktischen Gläschen zurückzugreifen. Bis eines unserer Kinder sich standhaft weigerte, Herrn Hipps konserviertes Gemüse zu sich zu nehmen. In meiner Ratlosigkeit hörte ich auf eine Energetikerin, die meinte: „Koche selber, das passt besser für sie.“ Also fand ich mich zwischen Karotten, Pastinaken und meinem Pürierstab wieder. Und siehe da: Plötzlich schmeckte es.

Das dritte Kind war eine Steigerung dessen – kein Fläschchen, Brei oder Obstgläschen kam weiter als bis an seine Lippen. Beharrlich spuckte unser Sohn über ein Jahr lang alles aus, was nicht Muttermilch ist. Beinahe bekam er Sachertorte als erste feste Nahrung zum ersten Geburtstag – so groß war meine Verzweiflung darüber, ob denn das Kind niemals essen werde. Die Babynahrungsindustrie würde sich in Luft auflösen, wären alle Kinder von seiner Sorte. Glücklicherweise sind wir alle verschieden, was unsere kulinarischen Vorlieben betrifft.

Töpfe in der Beziehungsgroßküche

Wenn man nicht gerade von Licht und Liebe lebt, braucht man als Mensch Nahrung, um ein gesundes Leben führen zu können. Auch wenn sich immer wieder vortrefflich darüber streiten lässt, wie nun eine optimale Ernährung aussieht, gibt es gewisse Erkenntnisse, die eine breite Zustimmung (selbst unter ExpertInnen) finden. Reichlich Wasser trinken, hochwertige Lebensmittel mit guten Nährwerten bevorzugen und von Zucker lieber Abstand nehmen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Philosophien und ExpertInnen, die das Essen fast zur Religion erklären.

„Wie wir Menschen brauchen auch Beziehungen ‚Nahrung‘, um langfristig existieren zu können.“

Beziehungen gehen zwar nicht auf zwei Beinen, sind aber lebendige Gefüge. Wie wir Menschen brauchen auch sie „Nahrung“, um langfristig existieren zu können. In Vorträgen vergleiche ich Familien gern mit einer Großküche: Es gibt verschiedenste Töpfe, aus denen unterschiedliche Verbindungen genährt werden. Je nachdem sind individuelle Zutaten erforderlich. Ein Rezept für alle? Das gibts weder für Beziehungen noch in irgendeiner Küche dieser Welt.

Universelle Geheimzutaten

Für jeden Topf einer familiären Beziehungsküche braucht es universelle Zutaten: Respekt, Wertschätzung und Kommunikation. Keine geschwisterliche, elterliche und schon gar nicht partnerschaftliche Verbindung klappt ohne diese drei. Anders als beim Salz würde ich sogar sagen: Je mehr, desto besser. Ohne die drei reicht es höchstens zu einem zwischenmenschlichen Fast-Food-Happen ohne Nährwert, der im besten Fall nur einen schlechten Magen beschert.

Die Ingredienzien für schmackhafte und sättigende Mahlzeiten, die Beziehungen nähren, differieren teilweise deutlich. Während Kinder von Eltern vor allem Sicherheit, Geborgenheit und Zutrauen brauchen, geht es in Partnerschaften viel mehr um Vertrauen, Intimität oder die Fähigkeit, Konflikte zu managen. Das Gift in jeder Suppe wäre Verachtung, Rückzug oder Verallgemeinerungen jeder Art. Zwischen Überleben und Vergiften ergibt sich jedoch eine breite Palette an Handlungsspielräumen.

Unverträglichkeitsvermerke für Beziehungen

Italienisch geht fast immer, der Heurige ist mir manchmal zu deftig und das Indische schnell zu scharf. Durchschnittliche chinesische Lokale verjagen mich mit den Geschmacksverstärkern, nach Fast Food liegt mir ein Stein im Magen, dafür hüpft mein Herz (und mein Magen) bei pflanzenbasierter Nahrung, die am besten auch noch regionale und saisonale Bestandteile aufweist. Obwohl ich außer Himbeeren und Innereien fast alles esse, habe ich – wie jeder Mensch – Vorlieben und Aversionen. Glücklicherweise weiß ich nach gut vier Lebensjahrzehnten, was mir bekommt, was ich schlecht vertrage und vor allem: was ich wo erwarten kann.

„Wir hoffen, mit LebenspartnerInnen einfach ALLES abdecken zu können. Das ist eine Bestellung, mit der wir ziemlich verlässlich unglücklich werden.“

Leider kommen die wichtigsten Beziehungen im Leben nicht wie das Menü beim Wirten ums Eck daher. Speisekarten sind klar abgestimmt, ansprechend ausformuliert und enthalten Informationen darüber, worauf ich vielleicht allergisch reagiere. Das trifft auf Partnerschaften nicht zu, schlimmer noch: In Liebesbeziehungen meinen wir, einen „Italienischen Tapas-Inder mit Heurigenschmankerln aus Japan“ erwarten zu dürfen, der auf Anfrage auch afrikanische, amerikanische und französische Spezialitäten auftischt.

Anders gesagt: Wir hoffen, mit LebenspartnerInnen einfach ALLES abdecken zu können. Das ist eine Bestellung, mit der wir ziemlich verlässlich unglücklich werden. So wie ich als Frau meine Unvollkommenheiten, blinden Flecken und Schwächen habe, kann ich auch von meinem Partner nicht erwarten, mir alle schönen Charaktereigenschaften dieser Welt servieren zu können. Es ist entlastend und erleichternd, wenn wir eingestehen und zugestehen, dass eine Liebesbeziehung viel, aber nicht alles abdeckt, was wir im Beziehungsleben brauchen.

Auswärts essen erlaubt

Wenn ich Spontanität liebe, sie in meiner Beziehung aber zu wenig erlebe, kann eine Mädelsfreundschaft womöglich mit überraschenden Unternehmungen aushelfen. Wenn mein Kochtalent den Ansprüchen des Göttergattengaumens nicht gerecht wird, kann ein Restaurant des Vertrauens diese Wünsche erfüllen. Wenn ich kulturbegeistert bin und mein Partner das Theater scheut, wie der Teufel das Weihwasser, erlebe ich solche Abende eben mit anderen Menschen.

Die Herausforderung in den familiären Großküchen ist nicht, die unterschiedlichsten, vielleicht exotischen Zutaten zusammenzutragen, die benötigt werden. Die Gefahr ist, von einer Person alles zu erwarten, was ich im Leben brauche. Es lebt sich wohl leichter miteinander, wenn man einen ähnlichen Geschmack hat. Sozial gesehen bedeutet das, dass persönliche Werte übereinstimmen. Zumindest teilweise. Was dann voneinander abweicht, darf (in Absprache) auch wo anders „konsumiert“ werden.

Lektionen aus dem Dorf der Ernährungschamäleons

Es braucht nicht nur ein Dorf, um ein Kind zu erziehen, wie es in einem afrikanischen Sprichwort heißt. Es braucht auch ein Dorf, um einen Menschen satt zu machen. Ernährungstechnisch und auch auf zwischenmenschliche Weise. Keine Ehefrau, kein geliebter Partner, kein Kind sollte allein dafür zuständig sein, eine andere Person zufriedenzustellen. Gemeinsam können wir für die vielfältigen Bedürfnisse aufkommen, die wir als irdische Wesen haben. Und glücklicherweise sind wir alle lern-, entwicklungs- und anpassungsfähig. Wie Chamäleons.

Kluge Sprüche hört man von mir bezüglich Ernährung jetzt nicht mehr, nur Erfahrungsberichte auf Anfrage. Eine unserer Töchter bevorzugte lange einen, sagen wir, einfältigen Speiseplan – hauptsächlich bestehend aus Fleisch und Weißbrot. Um Gemüse und Obst wurde ein großer Bogen gemacht. In den letzten Jahren hat sie sich – angespornt durch den „Foodporn“ auf Social Media – mühsam antrainiert, den „Regenbogen“ zu essen. Angefangen mit schlichter Caprese spielt ihr Speiseteller mittlerweile alle Farben. Je gesünder, desto besser.

„Ich genieße jede gemeinsame Mahlzeit, bei der wir friedlich um den Tisch versammelt dasselbe essen.“

Gelernt habe ich, dass Kinder sich holen, was sie brauchen. Wir sind als Eltern für eine gesunde Vielfalt am Tisch zuständig. Was davon in den Mund kommt (und wie viel), darf jedes Kind selbst entscheiden. Bei den krassen Verwandlungen, die ich hier erlebt habe, fällt es oft schwer, ein „Hab-ich’s-dir-doch-gesagt“ zu unterdrücken. Doch ich spare mir giftige Kommentare und genieße jede gemeinsame Mahlzeit, bei der wir friedlich um den Tisch versammelt dasselbe essen. Zum Beispiel die beliebten Makkaroni, die einfach allen in unserer Familie schmecken und immer für gute Laune sorgen. Dann sind wir auf allen Ebenen gesättigt: körperlich, emotional und zwischenmenschlich.

Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin, Elementarpädagogin & Supervisorin

Web: www.kerstinbamminger.com
Mail: [email protected]
Instagram: @die.beziehungsweise

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  • Veröffentlicht: 04.10.2024
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