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09/24

Mit Kleiderschürze und Kochlöffel auf Zeitreise

Mit Kleiderschürze und Kochlöffel auf Zeitreise
Promptografie: KI-Grill

Frauen binden sich Kochschürzen um und positionieren sich wieder hinter dem Herd. Allen Errungenschaften der Gleichberechtigung zum Trotz. Warum diese Entwicklung eine gefährliche Mogelpackung ist und ich sie für Beziehungen bedenklich halte.

Gebannt starre ich auf mein Display. Das ist doch Satire! Unmöglich, dass das ernst gemeint ist. Doch ich warte vergebens auf die Pointe. „In der Küche zu stehen, während er draußen die Welt erobert – das ist die wahre Erfüllung einer Ehefrau!“ Als ich diesen Satz im Untertitel des Videos lese, fallen mir fast die Augen aus dem Kopf. Die junge Frau meint es ernst.

Marmorkuchen und adrette Kleidung

Eher zufällig stolpere ich an diesem Tag in die Welt der Tradwives. Der Name bedeutet „Traditional Wives“ und beschreibt einen Lebensentwurf, der ein Rollenbild aus den 50er-Jahren wieder hochleben lässt. Es handelt sich dabei um „biblische Ehefrauen“, die sich ihren hart arbeitenden Männern unterwerfen. Ihr einziges und höchstes Ziel: den Göttergatten glücklich zu machen, um die Ehe zu einer Wohlfühloase für den Herren der Schöpfung zu machen. In diesem Universum gelingt das am besten mit selbstgebackenem Marmorkuchen, adretter Kleiderschürze und immer sauberem Haus.

Die Bilder und Aussagen rütteln mein Weltbild derartig durch, dass ich gar nicht mehr weiß, wo unten und oben ist. Zwischen eindeutig kritischen Aussagen zur finanziellen Abhängigkeit oder dem passenden Kleidungsstil einer braven Ehefrau finde ich durchaus treffende Bemerkungen, wie Beziehungen gelingen können. Zum Beispiel, wie wichtig Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung sind. Ich bin restlos irritiert.

„Bin ich am Ende auch eine Tradwife?“

Die Tradwife in mir

Schon bin ich voll in der Selbstreflexion. Auch ich bin verheiratet, und wir leben eine eher traditionelle Rollenaufteilung. Nach der Geburt unserer Kinder entschied ich mich vergleichsweise lang ausschließlich für Care-Arbeit und kehrte der Erwerbsarbeit für viele Jahre den Rücken. Mir war immer bewusst, dass das eine Luxusentscheidung ist. Ich habe es geliebt, meinen Kindern diese Jahre zu widmen, und würde es immer wieder tun. Keine Doppelbelastung in den Kleinkindjahren gehabt zu haben, empfinde ich immer noch als Segen. Bin ich am Ende auch eine Tradwife?

Entwarnung an der Hausfrauenfront

Das nächste Video ploppt auf und beschreibt die perfekte Abendroutine der Influencerin. Dem Mann werden mit aufgefrischtem Make-up die Schuhe ausgezogen, sobald er das Haus betritt. Ein köstliches, frisch gekochtes Essen wartet auf ihn, bevor sie ihm die Kissen aufschüttelt, damit er sich nach seinem anstrengenden Arbeitstag bequem auf die Couch fallen lassen kann. Da mir diese Szene völlig fremd vorkommt, scheine ich doch nicht so recht in die Truppe dieser Hausfrauen zu passen. Ich atme auf. Doch ich habe Fragen.

Wie kommt es, dass Menschen sich zu solchen Lebensentwürfen entscheiden? Bei allen Möglichkeiten, die wir in der westlichen, industrialisierten Welt haben? Und genau da ist wohl der Hund begraben. Traditionelle, sehr konservative, altbackene Familienmodelle sind die einfache Antwort auf eine komplexe, vielschichtige und herausfordernde Welt. Die Freiheit der Wahl ist für viele Menschen eher die Qual der Wahl. Denn jede Entscheidung FÜR etwas bedeutet auch eine Entscheidung GEGEN etwas. Ob wir das nun hören wollen oder nicht. Alles hat seinen Preis.

Drei Probleme des Tradwives-Konzepts

In unsicheren Zeiten und einem schier unbegrenzten Raum, das eigene Leben zu gestalten, sind Menschen überfordert. Also gehen sie zurück auf eine Stufe, wo sie sich unterbewusst sicher fühlen. So kommt das Patriarchat wieder in Mode, unterwerfen sich Frauen ihren Männern und verzichten auf eigene berufliche Potenziale – um des Friedens und der vermeintlichen Stabilität willen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die Grundlage des Feminismus ist, dass wir frei entscheiden können, wie wir leben möchten. Das gilt für traditionelle Ehefrauen wie für Karrieretypen. Das Problem sehe ich eher wo anders.

  1. Es ist ein gefährliches Konzept. Jedenfalls für eine Person in so einer Partnerschaft. Große Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Arbeit in jeglichen Bereichen – nicht nur der Erwerbsarbeit – bringen ein Machtgefälle in eine Beziehung. Die Dynamik verändert sich. Die Begegnung auf Augenhöhe wird schwierig. Das Bedenklichste ist aber, dass man die unbekannte Variable namens Leben nicht einkalkuliert. Menschen verändern sich. Wir wachsen und lernen jeden Tag dazu. Kein Mensch der Welt kann vorhersehen, wer er in zehn, geschweige denn 20 oder 30 Jahren sein wird. Wehe, die Partner solcher Tradwives entscheiden sich eines Tages anders. Dann blüht diesen, denke ich, ein böses Erwachen.
  2. Wir sind zu unehrlich. Ich nehme keiner Tradwife ab, dass sie jeden Tag Lust und Laune beim Putzen, Waschen und Kochen verspürt und niemals an versäumte berufliche Chancen denkt. Genauso wie ich keiner Karrierefrau glaube, dass sie jeden Tag Spaß im Job hat, ihre Kinder nie vermisst oder sich zerrissen fühlt. „Alles ist möglich“: Diese Lüge hat man uns lange aufgetischt. Oder zumindest den Nachsatz unterschlagen, der lautet: „Aber nicht gleichzeitig!“ Jedes Modell kostet uns etwas. Wir dürfen lediglich entscheiden, was wir lieber zahlen möchten.
  3. Paare können nur bedingt ausbügeln, was gesellschaftlich oder politisch nicht gelöst ist. Das seit Langem propagierte Ideal der in Vollzeit erwerbstätigen Eltern wird mit kleinen Kindern nur von den Wenigsten gelebt. Die überfällige Wertschätzung und Anerkennung der unbezahlten Care-Arbeit schmälert Menschen täglich in diesem Tun, das meist nach 40 Wochenstunden lange nicht erledigt ist. Es ist höchst an der Zeit, sichtbar zu machen, welcher Bärendienst hier an der Gesellschaft erbracht wird.
„Solange die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie praktisch nur Frauen betrifft, wird die Situation für sie überfordernd, frustrierend und ermüdend bleiben.“

Träume im Mariannengraben

Ein Lebensentwurf ist meiner Meinung nach dann in Ordnung, wenn die betroffenen Personen damit tatsächlich glücklich und zufrieden sind und niemand anderes dadurch zu Schaden kommt oder in seiner Entwicklung eingeschränkt wird. Nachdem jede von uns durch etwas anderes Erfüllung erlebt, müssen wir aushalten, dass Lebensentwürfe gleichwertig nebeneinander existieren. Für mich persönlich wäre es trotz klassischer Rollenverteilung undenkbar, dass ich meine beruflichen Träume und Ziele für immer im Mariannengraben versenke.

Solange die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie praktisch nur Frauen betrifft, wird die Situation für sie überfordernd, frustrierend und ermüdend bleiben. Mein Mann wurde noch nie gefragt, wie er seinen Job mit drei Kindern unter einen Hut bringt. Ich hingegen habe mir in stillen Momenten schon manchmal gewünscht, endlich kein schlechtes Gewissen mehr haben zu müssen – weder bei der Arbeit noch in der Zeit mit den Kindern. Der Wunsch nach persönlicher Entfaltung, die hohen Ansprüche an unser Leben und unsere Beziehungen und die Komplexität der modernen Zivilisation tun ihr Übriges.

Inszenierte Shows abseits der Realität

Während mir die nächste Tradwife ins Ohr tüdelt, wie sie in ihrer perfekten Morgenroutine lächelnd frisch gebackene Waffeln serviert, nachdem sie zwitschernd Mann und Tochter weckt und die liebevoll vorbereiteten Brotdosen mitgibt, dämmert mir noch etwas. Die Darstellung des Alltags, wie ihn diese Frauen inszenieren, hat mit der tatsächlichen Realität ungefähr so viel zu tun wie Pornografie mit echter Sexualität. Es ist eine Show. Eine Inszenierung. Ein einziger Fake. Und ganz weit weg von dem, was Mütter und Hausfrauen wirklich täglich erleben.

Bewunderung bekommen ein paar dieser Frauen von mir trotzdem. Ganz entgegen ihrer Kolleginnen aus den 1950er-Jahren verdienen Tradwives auf Social Media heutzutage teilweise sehr anständiges Geld. Damit sind sie längst nicht so abhängig von ihren Göttergatten, wie sie vorgeben. Altbackene Lebenskonzepte modern vermarkten können sie und setzen der Mogelpackung die Krone auf. Genaues Hinschauen ist also gefragt.

Wenn eine gute Fee vorbeikommt, wünsche ich mir diese drei Dinge:

  • echte Wahlfreiheit für Eltern bezüglich der Aufteilung von Arbeit
  • gleiche Wertschätzung für Erwerbsarbeit, Care-Arbeit und Hausarbeit
  • auf Augenhöhe geführte Partnerschaften, die die Entwicklung von Menschen in all ihrer Lebendigkeit nicht nur einkalkulieren, sondern auch fördern

Kurz überlege ich mir, das Abo für die Instagram-Kanäle der traditionellen Hausfrauen zu beenden. Doch ich bleibe vorerst dran. Einerseits für ein bisschen absurdes Entertainment. Andererseits als kleine Erinnerung an mich selbst, warum ich mir das antue. Diese vielen Rollen. Den Spagat zwischen Familie und meiner Erfüllung im Beruf. Das schlechte Gewissen in der Vereinbarkeitsfalle. Ich mache weiter, auch wenn es manchmal höchst unlustig ist. Und hoffe, dass die gute Fee mir einen Besuch abstattet.

Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin, Elementarpädagogin & Supervisorin

Web: www.kerstinbamminger.com
Mail: [email protected]
Instagram: @die.beziehungsweise

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  • Veröffentlicht: 09.08.2024
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