Aktuelle
Ausgabe:
Nahrung
09/24

Kinder für alle?!

Kinder für alle?!
Foto: AdobeStock

Einer von sechs Kinderwünschen bleibt weltweit unerfüllt. Für Betroffene beginnt damit ein Weg, der meistens nicht einfach ist. Und der die ernüchternde Erkenntnis bringt: Der Zugang zu reproduktiver Medizin wie In-vitro-Fertilisation ist ungerecht verteilt.

Christina Fadler steht im österreichischen Parlament auf einer Bühne. Man sieht ihr nicht nur an, dass es für sie ein großer Moment ist, sie sagt es auch: dass es ein großer Tag für sie sei. Dass sie vor vier Jahren nicht ahnen konnte, dass ihr Weg sie hierhin führen würde. Vor vier Jahren, als ihre erste In-vitro-Fertilisation (IVF) scheiterte. Als ihr Kinderwunsch sich aus den eigenen vier Wänden hinaus in die sterile Umgebung eines Krankenhauses verlagerte und sie zur Patientin wurde – leidend an einer Erkrankung, die es offiziell in Österreich gar nicht gibt.

Auf dieser Bühne im Parlament wird ein Thema besprochen, das viele Menschen betrifft und doch ein Tabuthema ist: Unfruchtbarkeit. Allein in der EU sind 25 Millionen Menschen davon betroffen. Und sie fühlen damit nicht nur eine persönliche Ungerechtigkeit, sondern stehen einem komplexen System an Ungerechtigkeiten gegenüber. Es beginnt damit, dass Österreich das Krankheitsbild Unfruchtbarkeit, das die WHO als solches definiert, nicht anerkennt. Erst wenn eine bestimmte Krankheit als Ursache definiert wurde, wird die Behandlung zumindest zum Teil finanziert – etwa, wenn die Spermienqualität des Partners unzureichend ist. Dann besteht die Chance, Anspruch auf finanzielle Förderung für die IVF zu bekommen. Für gleichgeschlechtliche Paare bedeutet das aber: keine Chance. Kein negatives Spermiogramm, keine anerkannte Krankheit, keine Förderung.

Jeden Monat die Enttäuschung

„Gleichgeschlechtliche Paare werden diskriminiert“, sagt Christina Fadler. Sie steht nicht nur als Betroffene hier, sondern auch als Vorsitzende des Vereins „Die Fruchtbar“, den sie 2021 gründete. „Als mein erster IVF-Versuch scheiterte“, sagt sie, „war ich schon über zwei Jahre mit meinem unerfüllten Kinderwunsch beschäftigt.“ Sie und ihr Partner hätten sich damit alleingelassen gefühlt, keine Ärztin, kein Arzt fand eine Ursache, jeden Monat kam mit der nächsten Regelblutung die nächste Enttäuschung, dass ihr Körper wieder nicht schwanger war. Christina Fadler begann, ihre Erfahrungen auf einem Blog zu teilen, fand Kontakt zu Menschen, die das gleiche Schicksal teilen, und gründete schließlich eine Selbsthilfegruppe, aus der sich der Verein entwickelte.

Foto: privat
„IVF-Schwangerschaften sind die längsten Schwangerschaften.“
Christina Fadler

„Für mehr produktive Gerechtigkeit“ steht sie damit an vorderster Front. „Die Fruchtbar“ setzt sich auch dafür ein, dass Kinderwunschbehandlungen kostenlos oder zumindest kostengünstig psychotherapeutisch begleitet werden. IVF-Schwangerschaften sind niemals unbelastet. „Man sagt auch, es seien die längsten Schwangerschaften“, so Christina Fadler. Während andere Frauen durch das Ausbleiben der Regel erfahren, schwanger zu sein, sind Frauen, die via IVF schwanger werden, schon Wochen davor damit beschäftigt. Dazu kommt die Angst, dass es nicht oder erneut nicht klappt und wieder ein Behandlungszyklus gestartet werden muss. Gerade für Menschen, die nicht über die finanziellen Mittel verfügen, mehrere Versuche durchzuführen, ist die Belastung besonders groß.

Diskriminierungen

In Österreich werden IVF-Behandlungen (sofern ein Krankheitsbild wie etwa mangelnde Spermienqualität vorliegt und die Frau unter 40 Jahre alt ist – eine weitere diskriminierende Einschränkung) zu 70 Prozent vom IVF-Fonds finanziert. Darin sind aber nicht die Kosten für zusätzliche Medikamente, weitere Untersuchungen oder Psychotherapie enthalten. Diese Kosten kommen zu den rund 1.100 Euro noch dazu, die pro Behandlung selbst zu bezahlen sind.

Der Zugang zu reproduktiver Medizin ist von Land zu Land unterschiedlich geregelt – eine Tatsache, die nach wie vor viele Menschen dazu bewegt, ihre Kinderwunschbehandlung im Ausland durchführen zu lassen. Eine Initiative der europaweiten Vereinigung FE (Fertility Europe) und des EPF (European Parliamentary Forum for Sexual & Reproductive Rights) hat einen „Fertility Atlas“ veröffentlicht, der die Rechtslage der Reproduktionsmedizin in den Ländern der Europäischen Union vergleicht. Österreich kommt dabei schlecht weg: 56,3 von 100 möglichen Punkten. Abzüge gab es dafür, dass Behandlungen eben nur teilweise und nur bei Vorliegen bestimmter Diagnosen bezahlt werden, und für die Tatsache, dass für alleinstehende Frauen die Samenspende nach wie vor verboten ist.

Aus dem „Fertility Atlas“

  • 25 Millionen Menschen in der EU sind mit Unfruchtbarkeit konfrontiert.
  • 1/6 aller Kinderwünsche weltweit bleiben unerfüllt.
  • 56,3 Punkte erreichte Österreich im EU-weiten Ranking im Umgang mit Unfruchtbarkeit.
  • 89,5 Punkte erreichte Spitzenreiter Belgien.
  • 26,2 Punkte erreichte die Schweiz: Hier gibt es keinerlei Förderung für Behandlungen.

Mehr Hilfe, weniger Stigma

Christina Fadler hofft, dass ihr Engagement sich endlich auszahlen wird, dass das Thema endlich in den Köpfen der Menschen ankommen wird, es aus der Tabuzone herausgeholt und in der Mitte des Gesundheitssystems verankert wird. Auch, damit Unfruchtbarkeit früher behandelt werden kann. „Leider kommen sehr oft Paare zu uns, die schon drei, vier Jahre versuchen, schwanger zu werden, und die von der Gynäkologin oder vom Gynäkologen nur hören: ‚Alles okay.‘“ Diese Paare haben wertvolle Zeit verloren. Und das nur, weil im gynäkologischen Bereich noch zu wenig Wissen über Unfruchtbarkeit vorhanden ist. Das müsse sich dringend ändern.

Christina Fadler steht aber heute auch stellvertretend für eine Geschichte mit „Happy End“ auf der Bühne. Sie ist seit drei Jahren Mutter eines Sohnes. Dass er ein IVF-Kind ist, wird sie ihm auf jeden erzählen. „Es gehört zu unserer und seiner Geschichte dazu, dass er ein Kinderwunsch-Wunschkind ist.“

Zahlen und Fakten

  • 1.100 Euro beträgt der Selbstbehalt pro IVF-Behandlung in Österreich.
  • 40 Jahre ist die Altersgrenze für die Förderung von In-vitro-Fertilisation durch den IVF-Fonds.
  • 0 Euro werden bei Inseminationen gefördert, die weniger belastend wären.
  • Viele Frauen sind deshalb auf eine Diagnose angewiesen.

Forderungen des Vereins

  • Unfruchtbarkeit als Krankheitsbild anerkennen
  • Förderung aller Behandlungen über den IVF-Fonds
  • Das Recht auf Kinderwunschbehandlung als universelles Recht
  • Kostenlose oder -günstige psychotherapeutische Begleitung bei Kinderwunschbehandlungen
  • Bessere und unabhängige Informationen und Beratungsstellen
  • Anhebung der Altersgrenze für geförderte IVF-Behandlungen
  • Unfruchtbarkeit darf kein Stigma mehr sein.

Weiterführende Informationen

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 30.07.2024
  • Drucken